"Klar ist: Es muss mehr gebaut werden"
Düsseldorf, 10.09.2024. Zu viele staatliche Vorgaben und langwierige Genehmigungsverfahren – Bauen in Deutschland ist mittlerweile hochkomplex. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) erläutert im Interview, wie Bürokratieabbau maßgeblich dazu beitragen soll, die Wohnungsmarktkrise zu bewältigen. Unter anderem sollen das Bauvertragsrecht vereinfacht und auf Komfortnormen verzichtet werden, um Kosten zu senken.
Bauen in Deutschland ist äußerst komplex. Eine große Rolle spielen Normierungen aus dem Bereich des Privatrechts. Während die Bauaufsicht das öffentliche Recht im Planungs- und Genehmigungsprozess prüft, prüfen im Streitfall Gerichte, ob privatrechtliche Regelungen eingehalten wurden. Wo sind die wichtigen Stellschrauben, damit auch ohne Beachtung sämtlicher verfügbaren Normen Häuser nicht nur mit weniger Aufwand und weniger Kosten, sondern aus Bauträgersicht auch „gerichtsfest“ gebaut werden können?
In der Tat: Bauen in Deutschland ist viel zu kompliziert. Um die Krise auf dem Wohnungsmarkt in den Griff zu bekommen, müssen wir das Bauen von Wohnungen wieder einfacher machen – und damit auch günstiger. Notwendig dafür ist ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Eine wichtige Stellschraube ist der Bürokratieabbau: Es gibt zu viele staatliche Vorgaben in Deutschland und die Genehmigungs- und Gerichtsverfahren dauern zu lange. Das sind unnötige Zeitfresser und Kostentreiber. Wir arbeiten gerade daran, diesen bürokratischen Wildwuchs zu lichten. Eine weitere wichtige Schraube ist das private Bauvertragsrecht. Das geltende Vertragsrecht macht einfaches Bauen unnötig schwer. Wir müssen es einfacher machen, auf unnötige Komfortstandards zu verzichten – wenn die Beteiligten eines Bauprojekts dies wollen. Das bringen wir nun mit dem Gebäudetyp-E-Gesetz gerade auf den Weg.
Vielfältige Schutzziele haben das Bauen teuer gemacht. Vieles ist nicht zielführend, es gibt eine Reihe von Normen, die sich widersprechen. Wie kann es gelingen, dass wir Ziele wie CO2-Reduktion, Klimaneutralität etc. fest im Blick behalten, aber alles das, was auf dem Weg dahin ausbremst und im ungünstigsten Fall Innovationen verhindert, wieder möglich machen?
Als liberaler Politiker bin ich seit jeher davon überzeugt: Wenn wir beim Klimaschutz vorankommen wollen, dann sollten wir vor allem auf marktwirtschaftliche Instrumente wie die CO2-Bepreisung setzen, statt auf immer neue bürokratische Vorgaben. Mit dieser Überzeugung standen wir Liberale lange Zeit ziemlich alleine da. Aber inzwischen hat sich die Stimmung gedreht. Es gibt ein breites Bewusstsein dafür, dass wir dem Klimaschutz einen Bärendienst erweisen, wenn wir die Regulierungsschrauben immer weiterdrehen und einen Wildwuchs an Bürokratie zulassen. Auch in der Bundesregierung hat sich diese Einsicht zunehmend durchgesetzt. Gerade im Bereich von Bauen und Wohnen sehen wir erste Konsequenzen. Die Verankerung von EH 40 als verbindlichem gesetzlichen Neubaustandard wurde ausgesetzt. Wir haben mehrere Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, um Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Außerdem haben wir uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass in die EU-Gebäuderichtlinie keine Sanierungspflicht für Bestandsgebäude aufgenommen wurde.
Das privatwirtschaftliche DIN-Institut ist in den letzten Monaten mehrfach in die Kritik geraten, weil offenbar ohne politische Kontrolle enormer Einfluss ausgeübt wird und durch die Normen der Kostendruck im Wohnungsbau verstärkt wird. Befördert wurden diese negativen Ausflüsse letztlich durch die Rechtsfigur der allgemein anerkannten Regeln der Technik, die Klagefreude des deutschen Bauherrn und eine eher bauherrenfreundliche Rechtsprechung. Wie lässt sich dieses Dilemma in den Griff kriegen?
Gutes Wohnen setzt nicht voraus, dass jede einzelne der über 3.000 DIN-Normen für den Baubereich eingehalten wird. Altbauwohnungen zeigen das: Sie sind begehrt, obwohl sie selbst im renovierten Zustand oft nicht alle Komfortnormen erfüllen. DIN-Normen werden allerdings nicht vom Staat oder von der Politik gemacht. Wir können sie nicht einfach ändern. Aber wir können dafür sorgen, dass es rechtlicher einfacher wird, von reinen Komfortnormen abzuweichen. Mit dem Gebäudetyp-E-Gesetz wollen wir genau dies erreichen: Wir wollen es für die Beteiligten von Bauprojekten einfacher machen, rechtssicher zu vereinbaren, dass von DIN-Normen, die keine Sicherheitsaspekte betreffen, abgewichen wird. Dazu werden wir das Bauvertragsrecht anpassen.
Die Forderung nach Bürokratieabbau ist ein Ewigkeitsthema und in Wahlkämpfen eine gängige Forderung der Politik selbst. Bürokratie ist gut, zu viel davon kostet Zeit, Geld, Personal und hat schon manches Unternehmen in Ausland getrieben. Muss es in Anbetracht sinkender Finanzkraft und steigendem Fachkräftemangel auch in der öffentlichen Verwaltung nicht ein Anliegen sein, die ökonomischen Auswirkungen von Gesetzen wesentlich ernsthafter als bisher zu prüfen?
Auf nationaler Ebene gibt es bereits heute Mechanismen, um die ökonomischen Auswirkungen von Gesetzen umfassend zu prüfen. Jeder Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält eine Schätzung des zu erwartenden Erfüllungsaufwands. Diese Prognosen werden mithilfe des Statistischen Bundesamts erstellt. Der unabhängige nationale Normenkontrollrat prüft sie auf Plausibilität. Etwa zwei Jahre nach Inkrafttreten der Regelung wird diese Schätzung noch einmal vom Statistischen Bundesamt nachgemessen. Das funktioniert alles schon ganz gut – aber wir wollen für weitere Verbesserungen sorgen. Deshalb haben wir uns in der Bundesregierung darauf geeinigt, in allen Ressorts sogenannte Praxischecks einzuführen. Aus ihnen werden sich konkrete Bürokratieentlastungsmaßnahmen ableiten lassen.
Außerdem haben wir uns darauf verständigt, jedes Jahr ein Bürokratieabbaugesetz auf den Weg zu bringen, mit dem wir uns überflüssiger Bürokratie entledigen werden. In dieses Gesetz werden auch die Maßnahmen aus den Praxischecks einfließen. Das große Problem ist, dass es auf EU-Ebene nichts gibt, was all dem entspricht. 57 Prozent der bürokratischen Belastung kommen aus Brüssel. Die Kommission hat das Monopol für Gesetzgebungsinitiativen. Und sie prüft oft gar nicht systematisch, wie groß der Erfüllungsaufwand ihrer Vorhaben voraussichtlich ist. Mit anderen Worten: Die Entscheidungsträger in Brüssel wissen oft gar nicht, wie schwer der Stein wiegt, den sie jemandem um den Hals hängen. Ich werbe dafür, dass wir auch auf der europäischen Ebene verpflichtende und verlässliche Mechanismen etablieren, um die zu erwartenden Kosten von Gesetzgebungsakten zu schätzen und Bürokratie abzubauen.
Verbraucherschutz ist ein hohes Gut in Deutschland. Inwiefern hat der Verbraucherschutz das Projekt „Einfacher bauen“ beeinflusst?
Das Gebäudetyp-E-Gesetz wird einfaches Bauen erleichtern, aber beim notwendigen Verbraucherschutz keine Abstriche machen. Reine Komfortstandards sollen künftig im Regelfall nicht mehr als „anerkannte Regeln der Technik“ gewertet werden. Das heißt: Wenn die Parteien die Einhaltung eines Komfortstandards nicht ausdrücklich vereinbart haben, dann soll seine Einhaltung auch nicht geschuldet sein. Das ist auch aus Verbraucherperspektive sinnvoll, da so Kosten reduziert werden. Die anderen Neuerungen des Gesetzes werden nur Verträge zwischen fachkundigen Unternehmern betreffen: Bei Geschäften zwischen Profis soll es einfacher sein, auch ohne umfangreiche Aufklärung von den „anerkannten Regeln der Technik“ abzuweichen. Gegenüber Verbrauchern wird das hingegen nicht möglich sein – eben weil wir auf berechtigte Verbraucherinteressen weiterhin Rücksicht nehmen.
Die Aufteilung der Baukompetenz mit verschiedenen Aufgaben auf Bund, Länder und Kommunen führt in der Praxis dazu, dass politische Ziele der Bundesregierung nicht umgesetzt werden. Es gibt Kommunen, in denen die Politik sich einig ist, dass nicht mehr viel gebaut werden soll. Nach über zehn Jahren Mietpreisbremse zeigt die Analyse, dass gerade in Ballungsregionen zu wenig geplant, genehmigt und gebaut wurde. Obdachlosenzahlen schnellen in die Höhe. Zusatzauflagen von allen drei Gesetzgebungsebenen summieren sich und machen Wohnen im Neubau zum Luxusgut, das die Mitte der Gesellschaft sich nicht mehr leisten kann. Ist es nicht an der Zeit, darüber nachzudenken, wie einerseits die kommunale Expertise für den Wohnungsmarkt vor Ort weiter eine wichtige Rolle spielt, aber wichtige wohnungs- und damit auch gesellschaftspolitische Ziele durchgesetzt werden?
In der Tat: Bauen in Deutschland ist auch deshalb so kompliziert, weil hier viele unterschiedliche Ebenen der Staatsverwaltung Mitspracherechte und Befugnisse haben. Dieses Kompetenzgefüge ist uns jedoch vom Grundgesetz so vorgegeben – und es hat auch einen großen demokratischen Wert. Es ist gut, dass nicht die Bundesregierung in Berlin darüber entscheidet, ob in Flensburg, Füssen oder Freiburg ein neues Baugebiet ausgewiesen werden soll. In der Vergangenheit waren einzelne Kommunen gewiss zu zögerlich bei der Ausweisung von neuem Bauland – und manche Kommunalverwaltung ist das vielleicht noch heute. Insgesamt sehe ich aber auch hier einen erfreulichen Bewusstseinswandel. In vielen wachsenden Städten hat das Thema Neubau von Wohnungen politische Priorität. Ich habe die Hoffnung, dass sich auch auf kommunaler Ebene politische Mehrheiten für mehr Neubau finden werden, wo es sie heute noch nicht gibt. Klar ist: Es muss mehr gebaut werden.
Foto: Julia Deptala/Bundesministerium der Justiz