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"Digitalisierung ist kein Zauberstab"


Tilman Gartmeier
09. Oktober 2025

Düsseldorf, 09.10.2025. Über Chancen und Grenzen der digitalen Transformation in der Immobilienwirtschaft – ein Interview mit Tilman Gartmeier. Gemeinsam mit seinen Partnern von Isar Labs bietet er Softwarelösungen für die Bau- und Immobilienbranche.

Herr Gartmeier, wenn wir über Digitalisierung in der Immobilienwirtschaft sprechen – viele Branchen haben in den letzten Jahren disruptive Umbrüche erlebt. Gilt das auch hier?
Tilman Gartmeier Man muss die Erwartungshaltung zurechtrücken. Immobilien sind kein Buchhandel, den man mit einem Schlag ins Internet verlagern kann. Wohnungen, Büros, Flächen zum Arbeiten oder Einkaufen bleiben physisch. Auch in 100 Jahren wird man Steine stapeln müssen, vielleicht aus dem 3D-Drucker, aber eben Steine. Deshalb halte ich eine völlige Disruption für unrealistisch. Digitalisierung kann aber Prozesse beschleunigen, Kosten senken und Fehler vermeiden, genau darin liegt ihr Wert.

Also geht es weniger um das „Ob“, sondern vielmehr um das „Wie“?
Gartmeier Ganz genau. Wir dürfen nicht erwarten, dass die Branche plötzlich in einer Art Matrix existiert. Digitalisierung entfaltet ihre Stärke vor allem rund um die Immobilie: in der Planung, im Bau und später im Betrieb. Das sind die Phasen, in denen sich Komplexität reduzieren und Effizienz steigern lässt.

Wo sehen Sie im Planungs- und Bauprozess die größten Hebel?
Gartmeier Zunächst bei der Kollaboration. Früher haben alle Beteiligten – Architekten, Statiker, TGA-Planer, Brandschützer – stundenlange Sitzungen abgehalten, heute können sie digital zusammenarbeiten. Einheitliche Planserver und revisionssichere Datenräume verhindern Fehler, die früher durch unterschiedliche Planstände entstanden sind. Ein zweiter Punkt ist die automatisierte Planerstellung. Es gibt inzwischen Software, die auf Basis von Grundflächenzahlen und Grundstücksdaten innerhalb kürzester Zeit dutzende Vorschläge liefert – nach Licht, Fläche oder Sonneneinfall optimiert. Der Architekt wird dadurch nicht ersetzt, aber er kann viel schneller und zielgerichteter beraten. Und natürlich das große Stichwort BIM. Die Idee, Kollisionen zu vermeiden und integral zu planen, ist hervorragend. In der Praxis hapert es aber oft an Komplexität, fehlender Kompatibilität der Systeme und an der notwendigen Sorgfalt. „Shit in, shit out“ gilt auch hier.

Viele Kommunen diskutieren gerade über digitale Genehmigungsverfahren. Sehen Sie da Potenzial?
Gartmeier Ja, unbedingt. Digitale Beteiligung im B-Plan-Verfahren, standardisierte Datenräume, transparente Abläufe – das spart nicht nur Zeit und Wege, sondern auch Nerven. Ich halte das für eines der unterschätzten Felder, weil hier wirklich Mehrwert für alle entsteht: für Verwaltungen, Planer und Investoren.

Und in der Betriebsphase?
Gartmeier Da ist es fast noch einfacher. Nehmen Sie Hausverwaltungen: Viele rechnen Betriebskosten noch immer manuell in Excel-Listen ab. Da passieren Fehler, die Eigentümern bares Geld kosten. Digitale Lösungen können das heute automatisiert und fehlerfrei. Gleiches gilt für Wartungsintervalle. Statt händischer Erinnerungslisten übernehmen Softwarelösungen die Organisation und Benachrichtigung. Das spart Zeit, reduziert Personalaufwand und vermeidet teure Versäumnisse.

Lassen Sie uns über Isar-Labs sprechen. Auf Ihrer Website steht „Machen statt Managen“. Was genau bedeutet das?
Gartmeier Wir entwickeln Softwaremodule, die konkret Alltagsprobleme von Handwerks- und Bauunternehmen lösen. Ausgangspunkt war unsere Erfahrung mit vielen Gewerken: fachlich top, organisatorisch aber oft schwach aufgestellt. Da entsteht Potenzial für digitale Unterstützung. Wir haben zwei Kernmodule: Baudokumentation und Dokumentenworkflow. Ergänzt werden sie durch „Nebenmodule“ wie CRM oder Liquiditätsmanagement. Damit wollen wir verhindern, dass Unternehmen mit Insellösungen arbeiten müssen. Besonders spannend finde ich, wie Sprach- und Bilddokumentation Barrieren abbauen: Ein Nachunternehmer kann auf Bulgarisch ins Handy sprechen und im Büro entsteht daraus ein deutscher Bautagesbericht. Erste Tests mit KI zeigen zudem, dass Software Fehler oder Mängel auf Bildern erkennen und automatisch melden kann. Das spart im Zweifel erhebliche Kosten.

Ihr Team hat sich breit aufgestellt.
Gartmeier Das stimmt, und genau das macht uns stark. Ich selbst komme eher aus Vertrieb und Strategie. Mein Mitgründer Benjamin Thompson bringt Struktur und Beratungserfahrung mit. Und Tim Lange ist unser Full-Stack-Entwickler, der mit enormer Geschwindigkeit Lösungen programmiert. Diese Mischung aus Marktverständnis, analytischer Tiefe und technischer Umsetzungskraft ist unsere größte Stärke.

Wenn Sie ein Fazit ziehen müssten: Digitalisierung in der Immobilienwirtschaft – eher Pflicht oder Kür?
Gartmeier Weder noch. Sie ist ein Werkzeug. Sie wird das Bauen nicht revolutionieren, aber sie kann Abläufe vereinfachen, Kosten reduzieren und Fehler vermeiden. Wer das verstanden hat, setzt Digitalisierung nicht als Zauberstab ein, sondern als Handwerkszeug. Und genau darin liegt ihr Wert

 Bild: Tilman Gartmeier